Das Wahlrecht historisch

Heute erscheint es uns vielleicht selbstverständlich, dass wir den Gang zur Wahl antreten und unsere Stimme mit einem Kreuz auf einem Wahlzettel abgeben können. Bis zum Wahlrecht und der Demokratie in Deutschland, wie wir sie heute kennen, war es jedoch ein langer Weg, für den sich die Menschen zu verschiedenen Zeiten immer wieder eingesetzt haben.

Aus der Frankfurter Nationalversammlung ging 1849 für das nur kurzzeitig bestehende Deutsche Reich das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht für Männer hervor. Nach der Ausrufung des Deutschen Kaiserreichs 1871 durften grundsätzlich fast alle Männer über 25 Jahren wählen. Frauen blieben weiter von den Wahlen ausgeschlossen. Erst 1918, also vor etwas mehr als einhundert Jahren, wurde mit der aufkommenden Weimarer Republik das Frauenwahlrecht eingeführt. Das Wahlalter für das aktive und passive Wahlrecht wurde für alle Bürgerinnen und Bürger zunächst auf 20 Jahre abgesenkt und das bis dahin geltende Mehrheitswahlrecht durch ein Verhältniswahlrecht ersetzt. Dieses sah ab 1920 vor, dass eine Partei für jeweils 60.000 gewonnene Stimmen einen Parlamentssitz erhielt. Die Zahl der Wahlberechtigten zu den Reichstagswahlen hatte sich in dieser Zeit durch die Änderungen des Wahlrechts bereits deutlich ausgeweitet auf über 37 Millionen Menschen (1871 waren es erst etwa 7,6 Millionen).

In der Zeit des Nationalsozialismus ab 1933 wurden freie Wahlen verhindert. Unter der NS-Diktatur wurden alle Parteien außer der NSDAP im Juli 1933 verboten. Frauen wurde das passive Wahlrecht und damit ihre Wählbarkeit in politische Ämter entzogen. Das Wahlrecht wurde zur Wahlpflicht eines Ein-Parteien-Systems und war nicht länger ein Mittel demokratischer Mitbestimmung. Wahlen dienten nicht mehr dazu, Politiker und Parteien frei zu wählen, sondern sollten die Bevölkerung im Sinne des Nationalsozialismus politisieren. Menschen, die entsprechend der Ideologie des Nationalsozialismus „rassisch“ nicht zum Volk gehörten, verloren ihr Wahlrecht durch die Nürnberger Gesetze von 1935. Dieses Wahlverbot schloss sie aktiv aus der Gesellschaft aus.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der NS-Diktatur erfolgten die ersten demokratischen Wahlen auf Landesebene im Juni 1946 im Freistaat Bayern und im neu gegründeten Württemberg-Baden. 1949 wurden die Bundesrepublik Deutschland und die DDR gegründet, deren Wahlrecht sich stark voneinander unterschied.

Bei allen Wahlen in der DDR konnten Wahlberechtigte lediglich eine Einheitsliste mit Kandidatinnen und Kandidaten der Parteien der Nationalen Front (Zusammenschluss der Parteien und Massenorganisationen in der DDR) wählen. Es konnte dann nur der Liste im Ganzen zugestimmt werden, eine Möglichkeit zur Wahl einzelner Personen, Parteien oder Wahlalternativen bestand nicht. Die Wählenden wurden mitunter von staatlicher Seite unter Druck gesetzt, sich an den Wahlen zu beteiligen, und auch durch Wahlfälschungen kam es seit 1950 zu konstant hoher Wahlbeteiligung und Zustimmung von angeblich 99 Prozent. Erst 1990 fand die erste und einzige freie, demokratische Wahl zur Volkskammer statt, dem Parlament der DDR. In der Folge trat die DDR am 3. Oktober 1990 der Bundesrepublik Deutschland bei, womit die deutsche Wiedervereinigung vollzogen wurde.

Die Bundesrepublik Deutschland wurde mit Verabschiedung des Grundgesetzes am 23. Mai 1949 gegründet. Seither ist mit Artikel 38 das allgemeine, unmittelbare, freie, gleiche und geheime Wahlrecht im Grundgesetz verankert. Das aktive Wahlrecht erhielten zunächst alle Bürgerinnen und Bürger ab 21 Jahren, das passive Wahlrecht galt ab dem Alter von 25 Jahren. 1953 wurde bundesweit die sogenannte Fünf-Prozent-Hürde (Sperrklausel) eingeführt: Für die Wahl zum Bundestag etwa müssen Parteien mindestens fünf Prozent der gültigen Zweitstimmen auf sich vereinen, um gemäß der Stimmverteilung Sitze im Parlament zu erhalten. Zur Bundestagswahl 1972 erhielten erstmals alle 18- bis 21-Jährigen das aktive Wahlrecht. Das passive Wahlrecht wurde schließlich 1975 ebenfalls auf das Alter von 18 Jahren abgesenkt.

Das Grundgesetz ebnete in den Bundesländern den Weg zur Gestaltung von Kommunalwahlrecht und Landeswahlgesetzen, die die Landtags- und Kommunalwahlen regeln. So liegt in Thüringen im Wahljahr 2024 beispielsweise das Alter für das aktive Wahlrecht für die Kommunalwahlen und die Europawahl bei 16 und für die Landtagswahl bei 18 Jahren. Die Fünf-Prozent-Hürde wurde in Thüringen für die Kommunalwahlen seit April 2008 abgeschafft, da sie für unvereinbar mit der Thüringer Verfassung und der Gleichbehandlung der Stimmen erklärt wurde. Für Landtagswahlen gilt sie jedoch weiterhin. Bei der Europawahl gibt es seit 2014 keine solche Sperrklausel mehr.

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